Richtig rechnen (lernen)


(6) Beispiel 2.1: Büchmann,T - Walter
1997

Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Gründe, weshalb man falsch rechnet: Aüßere Einflüsse (Zeitnot, Konzentrationsprobleme) und mangelhafte taktische Kenntnisse. Für die erste Gruppe kann man sich an ein paar Grundregeln halten, z.B. jede Variante nur einmal berechnen, die gegnerische Bedenkzeit nutzen, die Kräfte während der Partie einteilen (um nach 3-4 Stunden noch konzentriert zu sein), zu Hause Stellungen vom Diagramm aus lösen (und nicht auf dem Brett), Blindschach trainieren und Sport treiben (stärkt die Konzentrationsfähigkeit). Das zweite Defizit (taktische Fähigkeiten) kann man durch Training kontinuierlich verbessern. Ein Problem besteht darin, daß man zu kurz rechnet.








19...Lc6? [Schwarz berechnet die taktischen Verwicklungen falsch. Nötig war es, der Bauerngabel auszuweichen. So hält sich der weiße Vorteil in Grenzen nach 19...Lf4! 20.De2 (20.c5? Da6 21.b5 Lxb5 22.Lxb7+ Dxb7 23.Txb5 Txd1 24.Txb7 Txe1-+) 20...e5 21.Sd5 De6²] 20.c5! Lxc5 21.bxc5 Txd1 [Eine Figur geht verloren bei 21...Da6 22.De2 Lxf3 23.Dxa6 Lxg2+ 24.Kxg2 bxa6 25.Se4 Sf5 26.Lc3+-] 22.cxb6 Txb1 23.bxa7 Txe1 [Was hatte Schwarz übersehen? Die Doppeldrohung, daß der Tb1 hängt und der a-Bauer umgewandelt wird, ist nicht zu parieren: 23...Kd7 24.Lxc6+ Kxc6 25.Sxb1+-] 24.a8D+ Kd7 25.Lxc6+ 1-0

(7) Beispiel 2.2: Reshevsky,S - Fischer,B
1961

Neben dem Zu-Kurz-Rechnen ist eine weitere Fehlerquelle das Nicht-Beachten möglicher, oftmals überraschender Züge. Beide Mängel kann man durch genaue und schriftliche Analysen (am besten gemeinsam mit einem besseren Spieler) beseitigen. Kann Schwarz in der folgenden Stellung den Bd4 gewinnen?








19...Sf4 20.De3 [20.Dg3? Sh5 21.De3 Sxd4 22.Ted1 Sxc2 23.Txd8 Sxe3 24.Txe8+ Txe8 25.fxe3µ und Weiß hat den Bauern kompensationslos verloren] 20...Dxd4 21.Sb5! [Der erste überraschende Zug: Durch den Damentausch stellt Weiß die Doppeldrohung auf, entweder auf d6 die Qualität oder auf den Sf4 zu gewinnen. Ein Minusbauer bleibt übrig nach 21.g3? Dxe3 22.Txe3 Sd5 23.Sxd5 exd5µ] 21...Dxe3?! [Schwarz nimmt die Herausforderung an, weil er den 24. Zug übersieht. Gleiches Material in etwas schlechterer Stellung gibt es bei 21...Dd5 22.Dxf4 Dxb5 (22...Sd4? 23.Le4 Txc1 24.Dxc1! fxe4 25.Dc7+-) 23.Sxe6 Dxb2 (23...Dd5?! 24.Sc7 Txe1+ 25.Txe1 Df7 26.Se6± und Weiß beherrscht das Brett) 24.Lxf5 Te7 25.Ld3²] 22.fxe3 Sxg2! [Das zuvor gesehene Gegenopfer, aber Schwarz hat keine Alternative: 22...Sd5? 23.Sd6±] 23.Kxg2 Sd4+ 24.Le4!! [Der zweite überraschende Zwischenzug, mit dem Weiß die Qualität gewinnt. Schwarz hatte nur gerechnet mit 24.Kf2? Sxb5 25.La4 a6 26.Lb3 Ld5-+] 24...Lxe4+ 25.Sxe4 Sxb5 26.Sf6+ Kf7 27.Sxe8 Txe8 28.a4 [Erst mit diesem Zug klärt Weiß die Lage zu seinen Gunsten. Der Springer wird auf ein schlechtes Feld getrieben und Weiß dringt auf der 7. Reihe ein. Unvorsichtig wäre 28.Ted1? Te7 29.a4 Sc7 30.Kf3 Sd5÷] 28...Sd6 29.Tc7+ Kf6 30.Tec1!² *

(8) Beispiel 2.3: Gerstner - Lindörfer
1999

Ein schwieriges Kapitel sind Schockerlebnisse, wenn der Gegner einen überhaupt nicht ins Auge gefaßten Zug macht (oft als Opfer), der gefährlich aussieht und Drohungen aufstellt. In Zeitnot sind sie in der Regel tödlich (Panik macht sich breit), bei genügend Bedenkzeit sollte man erst einmal für 1-2 Minuten an etwas anderes denken (beruhigt den Puls), dann sich wieder auf das Brett konzentrieren und jeden möglichen Zug durchrechnen - aber niemals dem ersten Impuls folgen!








24...Tf6 [Schwarz denkt, daß die Reihenfolge der Züge egal ist. Sein Ziel erreicht er mit 24...Sc7 25.Dg3 Tf6 26.La2 Scxe6 27.Lxe6 Tfxe6µ] 25.Df7!? [Weiß setzt in Zeitnot alles auf eine Karte und spielt lieber ein inkorrektes Opfer, als das schlechte Endspiel zu spielen: 25.Dg3 Sc7 26.La2 Scxe6 27.Lxe6 Tfxe6 28.Sxe6 Dxe6µ] 25...Tdxe6?? [Ein typischer Schock: Schwarz sieht das folgende Springerschach nebst Schlagen auf f7 und gerät in Panik. Im nächsten Moment sieht er das Qualitätsopfer, das alle direkten Gefahren zu beseitigen scheint. Mit etwas mehr Ruhe und Zeit wäre leicht zu finden gewesen 25...Txf7! 26.Sg6+ Kh7 27.exf7 Txg6! (Er hatte nur die Damenrettung beachtet, die sofort verliert: 27...Dg5+? 28.Kb1 Txg6 29.hxg6+ Dxg6 30.f8S+) 28.hxg6+ Kxg6 29.fxe8D+ Dxe8-+] 26.Sg6+ Txg6 [26...Kh7 27.Dxe7 Txe7 28.Sxe7+-] 27.hxg6 Sf6?? [Schwarz ist weiter unter Schock und übersieht das Matt, aber die Niederlage wird nur verzögert durch 27...Dg5+ 28.Kb1 Dxg6 29.Lxe6 Dxe6 30.Df8+ Kh7 31.Dxc5+-] 28.Txh6+ 1-0

(9) Beispiel 2.4: Tarrasch,S - Walbrodt
1894

Ein klassisches Beispiel zum Thema Schock. Im folgenden werden die Kommentare von Siegbert Tarrasch verwendet:








28.Sxg7?! [Opfern ist gut, nicht opfern ist besser! 28.Td6² ] 28...Kxg7 29.Tg3+ Lg6? [Das ist der moralische Erfolg eines Opfers, wenn es auch nur einen Schimmer von Korrektheit besitzt: Es versetzt dem Gegner einen psychischen Schock, es erschüttert ihn und reißt ihn aus seinem seelischen Gleichgewicht, worauf die Fülle der Gesichte, die sich nach einem Opfer gewöhnlich darbietet, ihn vollends verwirrt; endlich tritt noch Geistersehen hinzu - und die Katastrophe ist fertig. So geht es fast immer und ist von jeher so gegangen und wird weiter so gehen, solange eine Schachpartie keine Analyse am grünen Tisch ist, sondern ein aufregender Kampf mit einem gefährlichen vis-a-vis! Korrekt war 29...Kh8 30.Dh6 Db6+! (Schwarz berechnete nur 30...Tg8?? 31.Txg8+ Lxg8 32.Lf8 Db6+ 33.Kh1 Db1+ 34.Kh2+-) 31.Kh2 (31.Kh1 Te1+ 32.Kh2 Dg1#; 31.Kf1 Lc4+ 32.Td3 Lxd3+ 33.cxd3 Dd4-+) 31...Tg8 32.Txg8+ Lxg8 33.Lf8 (33.Kh1 Sc7 34.Le7 Se8 35.Df8 Sg7 36.Lxf6 Dc7µ) 33...Dc7+ 34.Kg1 Df7-+ Mit dem Textzug will Schwarz durch Rückgabe der Figur den Gegner versöhnen, aber jetzt kommt ein Kraftzug nach dem anderen bis zum Matt.] 30.fxg6 hxg6 31.Lc1 g5 32.Lb2 Kg6 [32...Sc5? 33.Dxg5+] 33.Tf3 Te6 34.Dd3+ Kg7 35.Tg3 Dc5+ 36.Ld4 Da5 37.h4 Sc5 38.Txg5+ Kf7 39.Dh7+ Ke8 40.Tg8# 1-0

(10) Beispiel 2.5: Tarrasch,S - Walbrodt
1895

Die beste Methode, um seine Berechnungen zu verbessern, liegt darin, viele Beispiele mit typischen positionellen Merkmalen und taktischen Motiven durchzuspielen. Dann prägen sich diese Charakteristika ein, man rechnet viel selektiver und man erkennt früher, auf was es in einer Stellung ankommt. Positionelle Kriterien sind etwa: Schwache Grundreihe, ungedeckte Figuren, überlastete Figuren, offene Turmlinien, offene Diagonalen, ein geschwächter Königsflügel (z.B. Fianchetto ohne Läufer), mehr Angreifer als Verteidiger. Daraus ergeben sich als typische Kombinationsmotive: Grundreihenmatt, ersticktes Matt, Läuferopfer auf h7, Doppelläuferopfer, Zertrümmern der Rochadestellung, Doppelangriffe (z.B. Springergabel), Fesselung, Räumungsopfer, Qualitätsopfer auf h5 oder c3, Bauernumwandlung usw. Mal sehen, wer die Motive in der folgenden Stellung entdeckt:








1.Txd4!! Sxg3 [Der Gegenschlag, mit dem Schwarz die Dame gewinnt ... 1...Lc7 2.Txd5 Dxb2 3.Sf3 Tg4 4.Td7+-] 2.Sxg3 Txg3+ 3.hxg3 Txg3+ 4.Kf1 [4.Dxg3?? Dxg3+ 5.Kf1 cxd4 6.Lxd4+ Kg8-+] 4...Txd3 5.Tg4!! [Schwarz hatte nur gerechnet mit 5.Txd5? Dxb2 6.Txd3 Lh4÷] 1-0