(32) Beispiel 8.1: Gerstner,W - Hoensch,M [D32]
Länderkampf, 1998

Das positionelle Opfer - Eine Stellung wird aufgrund der drei Komponenten Material, Zeit und Raum bewertet. Am einfachsten ist das Material abzuschätzen, denn es hat statischen Charakter. Vorteile bei Zeit und Raum sind hingegen dynamisch und können schnell wieder verloren gehen. Beim positionellen Opfer wird Material investiert, dafür erhält man einen Zeitvorsprung (Entwicklungstempi) und / oder Raumvorteile. Um beides festzuhalten, ist ein energisches Spiel notwendig. Ein typisches Beispiel hierfür ist ein Gambit: 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 c5 4.cxd5 exd5 5.e4!? [Das Marshall-Gambit gilt als etwas anrüchig und wird nur selten gespielt. Als Überraschung taugt es jedoch durchaus.] 5...dxe4 6.d5 f5 7.Lf4 Ld6 8.Sh3 [Dieser Zug galt lange als schlecht. Die Hauptvariante ist 8.Lb5+ Kf7 9.Sh3÷] 8...a6 9.Da4+ Ld7! [Der beste Zug. Nach 9...Kf7? 10.0-0-0‚ kommt Weiß sehr schnell zu f2-f3 und g2-g4. Hier ist der Bauer mehr als gut investiert, denn Schwarz ist sehr schlecht entwickelt und sein König bleibt im Zentrum.] 10.Lb5 [Eine der wichtigsten Regeln ist: Der Rückgewinn des geopferten Materials bringt meistens den Gegner ins Spiel. So auch hier. Taktisch widerlegt wird 10.Db3? Lxf4 A) 11.Dxb7? Sc6!! (11...Ld2+ 12.Kxd2 Sc6 13.Db3 Sd4 14.Dc4 Db6 15.Sa4 Lxa4 16.Dxa4+ Kf8³) 12.dxc6 Lc8 13.Td1 Lxb7 14.cxb7 Le5 15.Txd8+ Txd8 16.Lxa6 Sf6 17.Sg5 Ke7µ; B) 11.Sxf4 11...b5 (11...Dc7? 12.Td1 Sf6 13.d6 Dc6 14.Se6±) 12.0-0-0 Sf6 13.f3 0-0 14.fxe4 fxe4µ] 10...Db6 [10...Lxf4 11.Sxf4 Db6 12.Se6 Sf6 13.0-0-0 Kf7 14.Lxd7 Sbxd7 15.g4!ƒ führt zur Partie] 11.Lxd6?! [Ein typischer Fehler: Weiß verhindert zwar die Rochade, gestattete Schwarz jedoch eine Entlastung durch Damentausch. Unklares Spiel ergibt sich bei 11.Lxd7+ Sxd7 12.0-0-0 Sgf6 13.f3 0-0 14.The1 Lxf4+ 15.Sxf4 exf3 16.gxf3 Db4 17.Dxb4 cxb4 18.Sce2÷ Hier spielt der Mehrbauer keine große Rolle mehr.] 11...Dxd6 12.Sg5 Sf6 13.Se6 Kf7 14.0-0-0 Db6? [Schwarz verpasst die Chance für den Damentausch: 14...Lxb5 15.Sxb5 Dd7 16.Sc3 Dxa4 17.Sxa4 Sbd7 (Aber nicht 17...Sxd5 18.Txd5 Kxe6 19.Thd1 Sc6 20.Sxc5+ Kf6 21.Td6+ Kf7 22.Td7+ Se7 23.Sxb7±) 18.Td2 Tac8³ Im Gegensatz zur vorherigen Variante konnte Schwarz alle Bauernschwächen vermeiden und wird nun langsam seinen Vorteil ausbauen.] 15.Lxd7 Sbxd7








16.g4!! [Die Partie ist an ihrer ersten Krisis angelangt. Schwarz droht durch The8 und Kg8 seinen König in Sicherheit zu bringen und gleichzeitig die Entwicklung zu vollenden. Somit hat Weiß keine Zeit mehr, um in Ruhe etwas vorzubereiten, sondern muss sofort Drohungen schaffen. Der Bauernzug unterminiert das Zentrum und verhindert The8, nimmt aber dafür ein Qualitätsopfer in Kauf.] 16...Se5 [Schwarz nimmt das Qualitätsopfer an. Die Alternativen schlagen alle zum sofortigen Vorteil von Weiß aus: 16...fxg4 17.Sxe4 The8 18.h3 Sxe4 19.Dxe4 Sf6 20.De5±; 16...Sxg4?? 17.Dxd7+ Kg6 18.Dxg7+ Kh5 19.Dg5#] 17.gxf5 Sd3+ 18.Txd3 exd3 19.Tg1 [Zwingt den Turm nach g8, so dass der König im Zentrum festgehalten wird.] 19...Thg8








20.Df4! [Noch ein wichtiger Zug: Die weiße Dame besetzt die Diagonale h2-b8. Damit wird die schwarze Dame an das Feld c7 gebunden (entkräftet den Abtausch Db4), und nach De5 treten Drohungen wie Sg5+ und Txg7+ auf.] 20...Tae8 [Schwarz entwickelt sich weiter. Die großen Schwierigkeiten verdeutlichen Varianten wie 20...Da5 21.De5 h6 22.Tg6! (Natürlich muss auch Weiß akkurat spielen. Verführerisch, aber verfehlt sind 22.Sg5+ hxg5 23.De6+ Kf8 24.Dd6+ Kf7 25.De6+ Kf8=; 22.Txg7+ Txg7 23.Sxg7 Tg8! 24.Se6 c4 25.Sf4 Tg1+ 26.Kd2 Db4 27.b3 Tf1³; 22.Se4? Sxe4 23.Txg7+ Txg7 24.Dxg7+ Ke8 25.Sc7+ Kd8 26.Se6+ Kc8-+) 22...Tae8 23.Dg3 d2+ 24.Kb1 Sh5 25.Dg4+-; 20...c4 21.d6! (Die Korrektheit des Opfers wird dadurch demonstriert, dass Weiß quasi zu jedem Zeitpunkt zumindest remis erzwingen kann: 21.De5 Dxf2 22.Txg7+ Txg7 23.Dc7+ Ke8 24.Sxg7+ Kf8 25.Se6+ Ke8 26.Sg7+ Kf8=) 21...Tac8 22.De5 d2+ 23.Kd1! Dxb2 (23...g6 24.Se4 Sxe4 25.Sg5+ Sxg5 26.De7#) 24.Sg5+ Kf8 25.De7#] 21.Kb1!! [Ausdruck der weißen Stärke: Da Schwarz seine Position nicht verstärken kann, bringt Weiß den König in Sicherheit und unterbindet sämtliche Varianten, die nach d3-d2+ vielleicht noch gefährlich werden könnten.] 21...Td8?! [Schwarz bietet die Rückgabe der Qualität an, um den weißen Druck abzumildern, läuft aber in eine Gewinnkombination hinein. Eine letzte Remis-Hoffnung bestand im Übergang ins Endspiel: 21...Te7 22.Sg5+ Kf8 23.d6 Td7 24.Sce4 (Wieder ist ein Dauerschach möglich: 24.Sd5? Sxd5 25.De5 Sf6 26.Se6+ Kf7 27.Sg5+ Kf8=) 24...Sxe4 25.Sxe4 h6 26.De5 Dd8 (Ebenso verliert 26...d2 27.Sf6! d1D+ 28.Txd1 gxf6 29.Dxf6+ Tf7 30.Dxh6+ Ke8 31.De6+ Kf8 32.Dc8+ Kg7 33.Tg1+ Kh6 34.Dxg8+-) 27.Sxc5 Txd6 28.Se6+ Txe6 29.fxe6 d2 30.Df4+ Ke7 (Noch schlimmer ist das Endspiel nach 30...Df6 31.Db8+ Ke7 32.Dxb7+ Kxe6 33.Dxa6+ Kf7 34.Dc4+ De6 35.Df4+ Df6 36.Dxd2+-) 31.Df7+ Kd6 32.Td1 Kc6 33.Kc2±] [Weiß lässt nicht mehr locker und verzichtet natürlich auf das Material. Mit 4 Figuren wird dem König nun der Garaus gemacht.] 22.Se4! Txd5?! [Taktisch widerlegt wird 22...Sxd5 23.De5! Sf6 (23...g6 24.S6g5+ Kf8 25.Sxh7+ Kf7 26.Seg5#; 23...Ke8 24.Sxd8+ Se7 25.Sxb7+-) 24.Txg7+ Txg7 25.Dxf6+ Ke8 26.Sxg7+ Kd7 27.Dxb6+-; Am meisten Widerstand bot noch 22...Sxe4 23.Dxe4 A) 23...d2 24.De5 g6 (24...Td6 25.Sg5+ Kf8 26.Sxh7+ Kf7 27.Sg5+ Kf8 28.Td1 c4 29.Txd2 c3 30.Te2+-) 25.Sg5+ Kf8 26.Sxh7+ Kf7 27.Sg5+ Kf8 28.Se6+ Kf7 29.fxg6+ Txg6 30.Df5+ Ke7 31.Dxg6+-; B) 23...Dd6 24.f6! Dxd5 (24...g6 25.Sg5+ Kf8 26.Te1 d2 27.Sxh7+ Kf7 28.De7+ Dxe7 29.Txe7#; 24...g5 25.Sxg5+ Txg5 26.Txg5 Tf8 27.Tg7+ Kxf6 28.Txh7 d2 29.Df3+ Kg6 30.Dh5+ Kf6 31.Th6+ Ke7 32.Txd6 Kxd6 33.Dh6+ Kxd5 34.Dxd2+ Kc6 35.h4+-) 25.Sxd8+ Dxd8 26.fxg7 d2 27.Dxb7+ De7 28.Dxe7+ Kxe7 29.Kc2 Td8 30.Kd1 Kf7 31.g8D+ Txg8 32.Txg8 Kxg8 33.Kxd2+-] 23.Sxf6 Kxf6 [Sofort verliert 23...gxf6 24.Txg8 Kxg8 25.Db8+ Td8 26.Sxd8+-] 24.Dh4+! [Der Vorhang fällt. Nicht Dg5+, weil dieses Feld dem Se6 gehört.] 24...Kf7 [Ein stiller Zug entscheidet nach 24...Ke5 25.De7! Td6 (25...Kxf5 26.Tg5+ Ke4 27.Sxc5+ Kd4 28.Tg4#) 26.Sc7+ Te6 27.Te1+ Kf4 28.Sxe6+ Kf3 29.Dh4+-] 25.Sg5+ Kf8 [Noch ein Nebeneffekt: Die e-Linie ist tabu für den schwarzen König. 25...Ke7 26.De4+ Kd6 27.De6+ Kc7 28.Dxd5+-] 26.Sxh7+ Kf7








27.Te1! [Nachdem bislang die g-Linie wichtig war, bringt dieser Turmschwenk die endgültige Entscheidung, denn das Matt ist nur unter hohen Verlusten abwendbar.] 27...Dd6 [Zu viel Material kostet 27...Txf5 28.De7+ Kg6 29.Te6+ Dxe6 30.Dxe6+ Kxh7 31.Dxf5+ g6 32.Dxd3+-] 28.Sg5+ Kf8 29.Dh5 g6 [29...Dd7 30.Sh7#; 29...Te5 30.Df7#] 30.Dh6+ Tg7 31.f6 Dxf6 32.Dh8+ 1-0