Senioren Bad Bertrich 2012

IM-Norm inklusive

Clemens Werner gewinnt stark besetztes Seniorenturnier in Bad Bertrich

Bad Bertrich · 30.11. bis 08.12.2012 · Seniorenturnier · Von Clemens Werner

Ende November bis Anfang Dezember finden immer ungefähr parallel zwei beachtliche Senioren-Open statt: im Ostseebad Binz traten dieses Jahr 170, in Bad Bertrich 60 Teilnehmer an. Sehr gut organisiert und geleitet wurde das zum zwanzigsten Mal ausgetragene Turnier vom in Karlsruhe wohlbekannten Schachfreund Dr. Matthias Kleifges. Möglicherweise ist es für viele der älteren Herren gar nicht so attraktiv, dass Bad Bertrich sich regelmäßig erfolgreich um eine für das Seniorenschach extrem starke Startrangliste bemüht!? Dieses Jahr hätte sich die Nummer eins des zahlenmäßig riesigen Feldes von Binz in Bad Bertrich an Platz sieben wiedergefunden. Der finnische Großmeister Westerinnen, den Rudi Müller letztes Jahr fast geschlagen hätte, sowie die internationalen Meister Boidman, Khanukov, Klundt und Donchenko und sogar ich selbst, alle wären in Binz Erster der Startrangliste gewesen. Nachdem ich bei der Deutschen Meisterschaft der Ländermannschaften trotz errungenen Titels schwach gespielt hatte, fuhr ich ziemlich ambitionslos ins Moselland. Im Gepäck hatte ich den olympischen Gedanken und eine Serie von sage und schreibe 15 sieglosen Spielen. Immerhin hatte ich mir vorgenommen, dem Spuk in der ersten Runde ein Ende zu bereiten. Das gelang, zwei weitere Siege folgten. Dann gab es je ein Remis gegen IM Boidman und IM Donchenko. Und nach einem Sieg in Runde sechs lag ich plötzlich gemeinsam mit zwei weiteren Spielern auf Platz eins.

Dass mein Gegner Villing in dieser Runde mein Remisangebot bei gleicher Stellung aber besserer Zeit abgelehnt hatte und dann gleich darauf patzte, war ein klarer Hinweis darauf, dass Caissa es jetzt wieder gut mit mir meinte. Nach einem weiteren Sieg gegen FM Gottfried Schumacher übernahm ich sogar die alleinige Führung. Jeden Morgen trafen sich beim Frühstück im gastlichen Haus von Familie Eyschen die Führenden, drei unterhielten sich auf russisch, zwei auf deutsch. Alle Partien zwischen ihnen endeten remis. So musste ich in der vorletzten Runde gegen IM Khanukov antreten, natürlich wieder remis! Aber am zweiten Brett spielten Boidman und Donchenko ebenfalls remis, so dass ich vor der letzten Runde immer noch allein in Führung lag. Da Klaus Klundt gewonnen hatte, durfte ich mit ihm in der Schlussrunde rechnen. Doch nein, FM Bogorad hatte zur Spitze aufgeschlossen und wurde mir vom sympathischen Auslosungsprogramm serviert. Als Startranglistensechster hatte ich eine schlechtere Buchholzzahl als die Frühstückskollegen. Beim vom Gegner Bogorad angebotenen Remis hätte ich den zweiten Platz hinter IM Boidman sicher gehabt. Indess lachte mich aus der Ferne Platz eins in einem relativ stark besetzten Turnier, eine (allerdings wegen zu schlechter Elozahl leider nutzlose) IM-Norm und ein nicht übles Preisgeld an. Ich lächelte zurück und spielte in dieser Schlussrunde endlich mal wieder gutes Schach. So endete dann auch die letzte Partie des Turniers nach knapp fünf Stunden mit meinem Sieg, ohne dass FM Bogorad einen größeren Fehler beisteuern musste. Hier ist sie:

(1) Bogorad,Michail (2217) - Werner,Clemens (2313) [B30]
Bad Bertrich (7), 08.12.2012
[Clemens Werner]

1.e4 c5 beim letztjährigen Turnier kam bei gleicher Farbverteilung ein Königsgambit aufs Brett 2.Sf3 e6 3.g3 Bogorads Spezialität. Auch gegen Französisch spielt er Königsindischen Angriff. In der achten Runde gelang ihm damit ein Sieg gegen G. Schumacher. Daraus folgte meine Devise: der d-Bauer macht keinen Doppelschritt, damit der weiße Königsbauer gegebenenfalls abgetauscht werden kann. 3...Sc6 4.Lg2 Sf6 5.d3 Le7 6.0-0 0-0 7.Te1 d6 8.c3 b6 9.Sbd2 Nach langem Überlegen gespielt. Ich hatte gehofft, er würde mit e5 meine schwache Diagonale h1-a8 ausnützen wollen. Dann wollte ich die Qualität opfern: [9.e5 dxe5 10.Sxe5 Sxe5 11.Lxa8 Sxd3 12.Te3 c4 Schwarz hat mehr vom Spiel] 9...Lb7 10.Sf1 Tc8 11.h4 Dc7 12.Lh3 Tcd8 13.Lg5 h6 14.Lc1 plant , mit g4 aufzurollen, ist aber langsam [14.Le3 c4; 14.Lf4 Se5 15.d4 Sxf3+ 16.Dxf3 Sxe4! 17.Txe4 f5] 14...Se5! 15.c4 ein Zugeständnis! [und wieder geht 15.d4 Sxf3+ 16.Dxf3 Sxe4 17.Txe4 f5] 15...Sfd7 16.S3h2 Weiß träumt immer noch vom Königsangriff und will keine Figur tauschen, er plant wohl, mit f4 zu kommen 16...Sc6 17.Se3 [17.f4 Lf6 und weitere Bauernvorstöße gegen die wohlgeordenten schwarzen Figuren wären selbstmörderisch, denn auch Weiß hat einen erkältungsgefährdeten König] 17...Lf6 18.Shg4 Ld4 19.Lg2 [19.Sxh6+ gxh6 20.Sg4 Sce5 21.Sxh6+ Kg7 geht noch nicht] 19...Sde5 Diagramm

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20.Sh2 das ist nun endgültig des Lavierens zu viel. Schwarz hat alle Figuren wie im Lehrbuch aufgebaut, wohingegen der Läufer c1 immer noch in der Garage steht. Nach dem Anhäufen kleiner Vorteile müsste nun laut Lehrbuch die taktische Entscheidung erfolgen und siehe da... [allerdings folgt auf 20.Sxe5 dxe5 und die d-Linie ist für Weiß ein Trümmerhaufen] 20...Sb4! plant ein Scheinopfer auf d3 21.Lf1 jetzt kann Weiß seinen e-Bauern offensichtlich nicht mehr vorstoßen, deshalb ist die Zeit reif für 21...d5! 22.exd5 [22.a3? scheitert nun an 22...Sbxd3 23.Lxd3 dxe4 24.Le2 Lxe3] 22...exd5 23.cxd5 Lxe3 24.Lxe3 Sxd5 nicht das Beste! [24...Dd6 ist noch stärker, wie mir Houdini verraten hat 25.d4 Dxd5 26.f3 cxd4 ist ganz traurig für den Anziehenden.] 25.Lg2 Tfe8 26.Le4 Sxe3 27.Txe3 Sxd3-+ [27...Sc4 ist laut Houdini noch stärker 28.Lh7+ Kxh7 29.Txe8 Sxb2! (29...Txe8 30.dxc4) 30.De2 Dc6 31.De4+ Dxe4 32.Txe4 Lxe4 33.dxe4 Td4] 28.Txd3 Lxe4 29.Txd8 Txd8 30.De2 Lc6 31.Te1 Dd6 32.b3 Dd5 welcher König steht denn nun eigentlich eher gefährdet? 33.f3 Dd4+ 34.Df2 der Damentausch ist für Weiß noch einen Versuch wert 34...Dc3 [34...Dxf2+ 35.Kxf2 Td2+ 36.Te2 Txe2+ 37.Kxe2 sieht zwar gewonnen aus, das Hinauszögern des Tauschs soll aber für einen noch größeren Vorteil sorgen] 35.Kg2 Lb5 droht Td2 36.Sf1[] und nun kann Schwarz bequem ins gewonnene Endspiel abwickeln 36...Lxf1+ 37.Dxf1 [37.Kxf1 Td2 38.Te2 Dd3-+ 39.Ke1 (39.De3 Dxe3 40.Txe3 Txa2) 39...Td1#] 37...Td2+ 38.Te2 Dc2 39.Txd2 Dxd2+ 40.Kh3 [40.Df2 Dxf2+ Bauernendspiel mit Minusbauer ohne Kompensation 41.Kxf2 Kf8 42.Ke3 Ke7 43.Ke4 Ke6 44.g4 g6 45.a4 f5+ 46.gxf5+ gxf5+ 47.Kf4 Kf6 48.Ke3 Ke5 49.f4+ Kd5 50.Kd3 a6] 40...Dxa2 41.Db5 Kf8 [41...g6 42.De8+ Kg7 43.De5+ Kh7 44.Dd5 Kg8 geht auch] 42.Dd3 Vorsicht, droht Einzüger 42...g6 43.Dd6+ [43.h5 hätte noch genaues Spiel verlangt: 43...gxh5 44.Dd6+ Kg8! (44...Kg7 45.De5+= f6 46.De7+ Kg6 47.De8+ Dauerschach!) 45.Dxh6 Db1 46.Dxh5 Dh1+ 47.Kg4 Dxh5+ 48.Kxh5 c4 49.bxc4 a5 und tschüss!] 43...Kg8 44.Dd8+ Kg7 45.Dd5 Da1 Lothar Arnold würde sagen: diese Stellung ist für mich wie das Lächeln eines Kindes 46.f4 Df1+ 47.Kh2 Df2+ 48.Kh3 Dd4 49.Db7 h5 50.Df3 [50.Dxa7 Dd1 51.Kg2 Dxb3] 50...Dd7+ 51.Kg2 b5 52.Dc3+ Dd4 53.Dxd4+ cxd4 54.Kf3 a5 55.Ke4 a4 hier lächelte der sich nicht mehr im Kindesalter befindende kiebitzende Großmeister Westerinnen, ich konnte mir unfairer Weise -wohl einfach aus Erleichterung- nicht verkneifen zurückzulächeln 56.bxa4 bxa4 57.Kxd4 Kf6 0-1